Biografie

Wandervogel - Bündische Jugend

Als Wandervogel wird eine 1896 in Deutschland entstandene Bewegung bürgerlicher Jugendlicher und junger Erwachsener bezeichnet, die – angeregt durch die Ideale der Romantik – vor dem damals herrschenden autoritären Druck der Gesellschaft in die Natur flüchteten, um dort ihr Leben nach eigenen Überzeugungen zu gestalten. Die Wandervogelbewegung gilt als Anfangspunkt der deutschen Jugendbewegung.

Geschichte

Der junge Stenographielehrer Hermann Hoffman regte ab 1896 in Steglitz (heute Berlin) seine Schüler an, Wanderungen zu unternehmen, die er selber organisierte. Sein Schüler Karl Fischer war von den gemachten Erfahrungen so begeistert, dass er beschloss, eine Wanderorganisation für Jugendliche aufzubauen. Am 4. November 1901 gründete er im Ratskeller des Steglitzer Rathauses den „Wandervogel-Ausschuß für Schülerfahrten e.V.“

Nach wenigen Jahren bereits waren aus diesen Anfängen zahlreiche Wandervogelgruppen hervorgegangen. Die junge Bewegung hatte sich bald in zahlreiche Gruppierungen aufgeteilt, die dennoch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit bewahrten. Die einzelnen Ortsgruppen organisierten sich in verschiedenen Wandervogelbünden.

Ein Meilenstein war der Erste Freideutsche Jugendtag am 11. und 12. Oktober 1913 auf dem Hohen Meißner bei Kassel. Dieser war als Protestveranstaltung gegen die patriotischen Veranstaltungen des Kaiserreiches zur Hundertjahrfeier der Völkerschlacht bei Leipzig gedacht. Dort wurde mit der Meißner-Formel das Ideal aller Beteiligten in Worte gegossen; maßgeblich beteiligt daran war u. a. der Reformpädagoge Gustav Wyneken.

Im Zusammenhang mit Kontroversen über Sexualität in der Wandervogelbewegung kam es bald nach dem Meißner Jugendtag zu einer „moralischen Panik“ und zu öffentlichen Angriffen auf die Jugendbewegung (vgl. John A. Williams, „Ecstasies of the Young“, In: Central European History 2001).

Insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg kam es zu einer immer stärkeren Vermischung von Wandervogel und Pfadfindern, aus denen die Bündische Jugend hervorging.

In diesem Sinne versteht man den Wandervogel als die erste Phase der deutschen Jugendbewegung, während man die Bündische Jugend als ihre zweite und die Jungenschaft als ihre dritte Phase ansieht.

Während bei der bündischen Jugend (beispielsweise Pfadfinder) auch gesellschaftliches und politisches Engagement immer stärker wurden, lag der Schwerpunkt bei den Wandervögeln auf der Fahrt, dem Naturerleben und einer romantisch verklärten Rückbesinnung auf die als ursprünglich empfundene Volkskultur.

Seit etwa 1925 verlor die Wandervogelbewegung stark an Bedeutung. Zwischen 1933 und 1935 wurden die verbliebenen Wandervogelbünde, ebenso wie die anderen Gruppierungen der Bündischen Jugend und die Jungenschaftsgruppen, von den Nationalsozialisten verboten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden viele dieser Gruppierungen neu und existieren bis in die heutigen Tage in verschiedensten, voneinander unabhängigen Gruppierungen. Sie erreichten aber nie die Bedeutung, die die Wandervogelbewegung vor dem Ersten Weltkrieg besessen hatte.

Wirkungsgeschichte

Die stark anwachsende Wandervogelbewegung begann schon bald auf die Gesellschaft zurückzuwirken.

Das heute weltumspannende Jugendherbergswerk und die Reformpädagogik haben zu einem erheblichen Teil ihre Wurzeln in der Wandervogelbewegung.

Ein studentischer Ableger der Wandervogelbewegung ist die 1923 gegründete Deutsche Gildenschaft (siehe auch: Studentenverbindung).

Noch heute ist am alten Rathaus von Steglitz (Berlin) ein Gedenkstein zur Gründung des Wandervogels zu finden.

In der Wandervogelbewegung entstand 1909 Der Zupfgeigenhansl (Hrsg. Hans Breuer), eines der einflussreichsten und am weitesten verbreiteten deutschen Volksliederbücher, das bis heute aufgelegt wird.

Etymologie

Die Bezeichnung Wandervogel für die Wanderbewegung wurde 1901 auf Vorschlag von Wolfgang Meyen gewählt. Nach der Auskunft von dessen Vetter Albrecht Meyen (vgl. Idee und Bewegung 56, 2001, S. 53/54) stammt der Begriff aus einem Gedicht Otto Roquettes (1824–1896) aus Waldmeisters Brautfahrt – Ein Rhein-, Wein- und Wandermärchen von 1851, das in der Steglitzer Wandervogel-Gruppe als Lied gesungen wurde. In dem Gedicht wird der Begriff Wandervogel zum ersten Mal auf Personen angewendet:

Ihr Wandervögel in der Luft,
im Ätherglanz, im Sonnenduft
in blauen Himmelswellen,
euch grüß' ich als Gesellen!

Ein Wandervogel bin ich auch
mich trägt ein frischer Lebenshauch,
und meines Sanges Gabe
ist meine liebste Habe.

Eine andere Deutung macht die Herkunft von Walt Whitmans Grashalmen (1855) abhängig, dessen Buch XVII den Titel Birds of Passage = Wandervögel trägt. Johannes Schlaf hat dann 1907 in seiner Auswahlübersetzung für Reclam den zweiten Gesang, den Gesang der Pioniere mit Wandervögel überschrieben:

Alle Pulse dieser Erde
Fallen ein und schlagen mit uns, schlagen mit des Westen Vormarsch;
Einzeln und allzusammen; immer vorwärts, alles für uns!
Pioniere! Pioniere!

Eine dritte Herleitung verweist auf einen Grabstein auf dem Friedhof Dahlem. Er schmückt das Grab von Kaethe Branco († 1877), eine früh verstorbene Tochter von Hermann von Helmholtz. Die Grabinschrift lautet:

Wer hat Euch Wandervögeln
Die Wissenschaft geschenkt,
Daß Ihr auf Land und Meeren
Nie falsch die Flügel lenkt?
Daß ihr die alte Palme
Im Süden wieder wählt,
Daß ihr die alten Linden
Im Norden nicht verfehlt?

Bündische Jugend

Bündische Jugend nennt man die Jugendbewegung in ihrer zweiten Phase nach dem Ersten Weltkrieg. Auf den Ideen der Wandervögel und Pfadfinder aufbauend entstanden in Deutschland die Bünde der Bündischen Jugend (kurz die Bündischen genannt).

Sowohl Pfadfinder als auch Wandervögel kehrten aus dem Ersten Weltkrieg desillusioniert zurück, darüber hinaus war ein Großteil der bisherigen Führer gefallen. Dadurch veränderten sich die Bünde und die Bündelandschaft. Sie wollten die Gesellschaft von Grund auf verändern. Politische Aktivitäten begannen an Bedeutung zu gewinnen.

In dieser Zeit war das Menschenbild der bündischen Jugend das des Ritters als Mann, der sich freiwillig der Disziplin und Selbstdisziplin unterwirft, der im Dienst seines Bundes und dessen Zielen steht. Wichtig für die Herausbildung der Bündischen Jugend war das Bestreben, zukünftig Gruppen zu bilden, die nicht wie früher im Wandervogel nur aus Jugendlichen bestehen sollten, sondern den Charakter eines Lebensbunds hatten. Viele Bünde hielten die erstrebte Bundesgemeinschaft für nur in reinen Männer- oder Frauenbünden erreichbar, weshalb koedukative Bünde stark an Bedeutung verloren.

Ab 1924 propagierten viele Bündische Gruppen und hier wesentlich die Schlesische Jungmannschaft (SJ) und die Artamanen das Arbeitslager als erzieherisches Mittel, in der die Volksgemeinschaft vorgelebt werden sollte. Nach F. Raab wollte die Bündische Jugend die Entwicklung des Volkwerdens vorbereiten, so sollten sie vom Gedanken des Volkstums her Staat und Gesellschaft neu ordnen und so das organische Zusammenwirken aller Teile über alle Klassen, Parteien und Konfessionen hinweg gewährleisten.

1927 bildete sich als ein zentraler Bund die Deutsche Freischar aus verschiedenen Bünden der Pfadfinder- und Wandervogelbewegung.

Gegen 1930 kam die Jungenschaftsbewegung auf, die das Lebensbundprinzip ablehnte und eine große Faszination auf die Gruppen der Bündischen Jugend ausübte. Die meisten Bünde wurden in einer zentralen Frage ihres Selbstverständnisses in Frage gestellt. Auch wenn manche Äußerlichkeiten im Stil wie Kohte und Jungenschaftsjacke von den Jungenschaften übernommen wurde, konnten sich die bisherigen Bünde weitgehend behaupten.

1933 schlossen sich viele Bünde im Großdeutschen Bund zusammen in der Hoffnung, als größerer Bund von etwa 50.000 Mitgliedern vom NS-Staat nicht verboten zu werden. Das Bundeslager Pfingsten 1933 bei Munster wurde dann aber bereits verboten und aufgelöst. Wenige Wochen später wurde auch der Großdeutsche Bund verboten (Lit.: von Hellfeld, S. 90ff).

Ab 1933 übernahm die Hitler-Jugend, die sich zunächst an den Formen der Arbeiterjugendbewegung orientiert hatte, zum Teil die pfadfinderischen und bündischen Traditionen. Dies führte bei vielen Angehörigen der Bündischen Jugend zur Hoffnung, die Hitler-Jugend von innen heraus in bündischem Sinne umzugestalten. Deshalb schloss sich ein Teil der Bünde freiwillig der Hitler-Jugend an, während andere Gruppen sich selbst auflösten, um einer Eingliederung zu entgehen.

Ab dem Sommer 1933 wurden zunächst die Bünde im Dritten Reich verboten, später galten auch entsprechende Kleidung und Ausrüstung unter der Bezeichnung bündische Umtriebe als strafbar. Die freien Bünde galten als "Erzfeinde der Hitler-Jugend" (Originalton Baldur von Schirach). Nach anfänglichen Versuchen, die Hitler-Jugend und insbesondere das Jungvolk zu unterwandern oder zu „infiltrieren“, wurden die meisten bündischen Führer aus der Hitler-Jugend ausgeschlossen.

Im Geheimen operierten verschiedene bündische Gruppierungen aber weiter. Sie gingen weiter auf Fahrten und machten Lager. Sie bildeten stellenweise Widerstandsgruppen gegen das Dritte Reich und führten teilweise offene Straßenschlachten gegen die HJ. Dieser Widerstand war besonders im Rheinland zu spüren. Viele dieser wilden bündischen Jugendgruppen wurden Edelweißpiraten genannt oder benannten sich selbst nach diesem Begriff, unter dem sie verfolgt wurden.

Grundüberzeugungen

Die Entwicklung der Jugendbewegung vom Wandervogel hin zur Bündischen Jugend brachte einen Wandel der Grundüberzeugungen mit sich:

Während der Wandervogel zentral die Erneuerung des Einzelnen betonte und andere Erneuerungen hiervon ableitete, so strebte die Bündische Jugend dementsprechend gleich die Erneuerung der Gesellschaft an.

Die Bündische Jugend war nicht mehr wie der Wandervogel ein Selbstzweck, der aus sich selbst heraus als revolutionär anzusehen war. Stattdessen vollzog der Einzelne durch die Aufnahme in den Bund eine umfassende "Dienstverpflichtung", die ihn bis ins privateste beanspruchte.

Man huldigte Ordensideen und nahm sich Ritterorden zum Vorbild. Der Einzelne war nicht seinem Gruppenführer, sondern alle waren der gemeinsamen Sache verpflichtet.

Die Ausrichtung hin zum Bündischen führte dazu, dass man den Bund als Jungen- und Männerbund verstand, was zu einer Verdrängung von Mädchen aus den vorhandenen Gruppen führte. Einige Mädchen bildeten hiervon unabhängig Gruppen, andere konnten sich in eigenen Gruppen neben den Jungengruppen behaupten. Gemischte Gruppen aber widersprachen dem bündischen Ideal.

Es herrschte ein Elitedenken vor. Man strebte eine Auslese an: Bei weitem nicht jeder Aspirant wurde in den jeweiligen Bund aufgenommen. Oft wurden Jungen ausgeguckt, die in den jeweiligen Bund passen könnten, und nur diese wurden gefragt, ob sie sich nicht eine Gruppe des Bundes einmal angucken wollten. Andere hatten diese Chance nicht. Der Gedanke des Bundes lebte somit auch vom Gegensatz zur Masse.

Äußerlich war das Entstehen einer einheitlichen Kluft als Ausdruck der Gemeinschaft des Bundes oder Ordens von Bedeutung.

Die Bündische Jugend legte im Gegensatz zum Wandervogel wert auf symbolische Handlungen und feierlich-mythische Formen. Dies hängt stark zusammen mit der Auseinandersetzung mit bündischem Gedankengut, zum Teil vermittelt durch die Beschäftigung mit dem Dichter Stefan George: Der Bund an sich hatte fast einen mythisch-religiösen Charakter.

Wie auch andere Bünde der Weltgeschichte gehörte auch der Gedanke eines Lebensbundes zum grundlegenden Gedankengut der Bündischen Jugend. Dies stand im deutlichen Gegensatz zu den Grundüberzeugungen des Wandervogels der Zeit vor dem ersten Weltkrieg.

Bewertung durch Historiker

Nach dem Ende des Dritten Reich warfen Kritiker der Bündischen Jugend vor, Steigbügelhalter des Nationalsozialismus gewesen zu sein, indem sie ähnliches Gedankengut wie „Führen und Folgen“, „soldatische Tugenden“ oder Patriotismus transportierte. Andere wiesen darauf hin, dass die Bünde großen Wert auf Selbstbestimmung und Autonomie legten, die persönliche Beziehung zwischen Führern und Geführten betonten, in ihrem elitären Anspruch nicht zur der Massenbewegung des Nationalsozialismus passten und erklärt unpolitisch waren.

„Zusammenfassend: Die bürgerliche deutsche Jugendbewegung bis 1933 war in ihrem politischen Denkweisen oder Gefühlswelten überwiegend so weit in der Nähe des Nationalsozialismus, daß sie sich 1933 als Teil der „nationalen Erhebung“ verstehen konnte. Diese Politikvorstellungen der Jugendbewegung beziehungsweise ihrer Mehrheit waren Zeichen einer allgemeinen politischen Fehlentwicklung des deutschen Bürgertums – aber eben nur ein Symptom neben vielen gleichgerichteten und gewiß nicht Ursache der Bewegung hin zum Faschismus. Als aber der Faschismus in Deutschland staatlich etabliert war, zeigte sich, daß in der Tradition der Jugendbewegung zugleich eine Chance systemoppositionellen Verhaltens lag. Das „autonome“ Milieu jugendlichen Gruppenlebens blieb zumindest zum Teil widerstandsfähig auch gegenüber dem totalitären Zugriff der staatlichen Jugenderziehung im Faschismus.“

Gegenwart

Unter Historikern umstritten ist, inwiefern die Bündische Jugend heute noch fortbesteht. Manche meinen, sie sei mit Beginn der nationalsozialistischen Diktatur endgültig untergegangen. Sie begründen dies mit den großen Unterschieden in den Lebenswelten der Jugendlichen und der häufigen strukturellen und inhaltlichen Neuorientierung der nach dem Zweiten Weltkrieg wieder entstandenen Bünde.

Davon unberührt gibt es heute Gruppen und Bünde, die sich als bündisch und/oder jugendbewegt begreifen. Zahlreiche Jugendbewegte/Bündische haben nach dem Ende des Dritten Reichs ihre Bünde wieder begründet und dabei an die Tradition der 20er und frühen 30er Jahre angeknüpft. Daneben gibt es auch heute vereinzelt Neugründungen von jugendbewegten Gruppierungen. Häufiger jedoch ist das Ausscheiden von Teilen einer Gruppierung wegen Unvereinbarkeit von Anschauungen. Dieses Phänomen wird als „bündischer Spaltpilz“ bezeichnet.

Auch Gruppen der deutschen Pfadfinderbewegung und der kirchlichen Jugendarbeit, besonders des CVJM, sind durch die Einflüsse der Jugendbewegung geprägt, was sie auch international deutlich unterscheidet. Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppierungen.

Mannheimer Resolution

Als Mannheimer Resolution wird eine Anzeige vieler Bünde der Jugendbewegung vom 15. Januar 1993 bezeichnet. In ihr sprach man sich gegen die ausländerfeindlichen Ausschreitungen im Herbst 1992 aus. Sie wurde von einer großen Anzahl von Gruppen und Einzelpersonen unterschrieben, die sich in der Nachfolge der Bündischen Jugend sehen und in mehreren Tageszeitungen veröffentlicht.

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